"Kleine
Wesen erzählten mir, ich sei schon tot"
Der
Milliardär Steve Fossett versucht, die Erde allein im Flugzeug
zu umrunden – Dick Rutan kennt die Gefahren eines solchen
Unternehmens.
Die
Erde ist klein für Männer wie sie. Einer von ihnen, Steve
Fossett, möchte das vom heutigen Dienstag an mit einem neuen
Rekord beweisen: Von den frühen Morgenstunden an wartet der 60
Jahre alte Abenteurer und Milliardär am Salina Municipal
Airport in Kansas auf günstiges Wetter: um abzuheben zur ersten
Umrundung der Erde in einem Ein-Mann-Flugzeug ohne Zwischenstopp.
Der
Abenteurer Steve Fossett und Globalflyer
Globalflyer heißt seine voll getankte Spezialmaschine, gebaut
vom Luft- und Raumfahrt-Konstrukteur Burt Rutan. Ein anderer
Mann dagegen bleibt am Boden: Er heißt Dick Rutan, ist 66 Jahre
alt, der Bruder des Konstrukteurs und der einzige Pilot auf der
Welt, der bislang einen ähnlichen Flug absolviert hat.
Allerdings war Dick Rutan dabei nicht allein, sondern wurde von
einer Copilotin begleitet. Das war 1986, die Maschine hieß
Voyager und brauchte neun Tage für den Flug um die Erde. Weil
Dick Rutan weiß, was Fossett bevorsteht, ist sein Rat zurzeit
gefragt. Das schafft Terminstress. Erst kurz vor dem Gespräch
mit der Süddeutschen Zeitung landet er – um Stunden
verspätet – mit einer Linienmaschine von Dallas kommend in
Los Angeles.
SZ: Guten Morgen. Wie war Ihr Flug?
Dick Rutan: Furchtbar. Wissen Sie, die zivilen
Flugsysteme, die wir heute haben, taugen gar nichts. Die
Fluggesellschaften sollten sich schämen. Meine Sekretärin
sagte: Man kann vielleicht um die Welt fliegen, Dick, aber nicht
von Dallas nach Hause. Wie die mit Passagieren umspringen,
welche geringe Funktionssicherheit sie bieten und dann diese
antiquierte Flugverkehrskontrolle! Man muss sich mal vorstellen:
Noch heute wird dazu Funk benutzt – die menschliche Stimme, im
21. Jahrhundert! Die Stimme ist das unsicherste Instrument, das
es gibt, um zu kommunizieren. Das könnten längst Computer und
Autopiloten erledigen. Aber immer noch erzählen Leute einem
Flugzeugführer, dass er steigen oder sinken soll. Würden wir
Computer benutzen, könnten wir hundertmal so viele Maschinen im
Einsatz haben. Dann hätte ich heute morgen auch einen früheren
Flieger in Dallas bekommen.
SZ: Ausgerechnet Sie, der Rekord-Pilot, wollen den
Menschen am Steuerknüppel abschaffen? Braucht der Fortschritt
nicht Leute wie Sie im Cockpit?
Rutan: Ja, oder Männer wie Fossett. Aber nicht in
Verkehrsmaschinen.
SZ: Mit welchem Rat wollen Sie Fossett auf sein Abenteuer
vorbereiten?
Rutan: Er hat eine tolle Maschine, aber ich würde ihm
raten, auf die Details zu achten. Es ist ein langer Flug, und
alles muss exakt geplant sein. Wir hatten 1986 mit der Voyager
schon beim Start die erste Panne. Die Flügel wurden beschädigt,
weil die vollen Tanks die Tragflächen bis auf die Rollbahn
gedrückt hatten. Aber das war letztlich nicht so schlimm. Viel
wichtiger und schwieriger ist es, die psychologische und
körperliche Verfassung im Griff zu haben, die einen um die Welt
trägt – und natürlich das Wetter. Es ist nicht die Aufregung,
es sind Langeweile und Ermüdung, die gefährlich werden können.
VIRGIN
ATLANTIC GLOBAL FLYER - LONG-DISTANCE JET PLANE
|
(1)
Fuel tanks |
Gross
weight is 10 tonnes; empty weight is 1.5t |
(2)
Engine
|
Williams
FJ44-3 ATW (10,200 Newtons of thrust) |
(3)
Cockpit
|
Pressurised
and large enough for pilot to lie down |
Length
|
11.7m;
Height - 3.6m; Wingspan - 35m |
Speed |
in
excess of 460km/h; 290mph; 250 knots |
SZ: Wie sind Sie damit umgegangen?
Rutan: Ich war schon während der ersten drei Tage froh,
dass ich einen Autopiloten und die Copilotin Jeane Yeager hatte
und zwischendurch ein kurzes Nickerchen halten konnte. Eine
Viertelstunde Schlaf reicht für drei Tage übrigens völlig aus.
Bei mir jedenfalls. Und Fossett wird ja voraussichtlich nicht
länger unterwegs sein, denn er fliegt dreimal so schnell wie
wir damals und kann auch zwischendurch auf Autopilot umstellen.
SZ: Und er fliegt viermal so hoch – in mehr als 14.000
Metern Höhe. Kameras werden Livebilder aus seinem Cockpit
senden. Sind Sie ein wenig neidisch? Wären Sie gern selbst
geflogen?
Rutan: Ja, wäre ich, aber ich hatte nicht das Geld,
meinen Bruder mit dem Bau eines solchen Flugzeugs zu beauftragen.
Ich schätze mal, das hat etwa drei Millionen Dollar gekostet.
Neidisch bin ich trotzdem nicht. Gemessen am technischen
Fortschritt, habe ich 1986 einen ebenbürtigen Beitrag geleistet.
Man muss sehen: Globalflyer steht für zwanzig Jahre technische
Weiterentwicklung nach Voyager – ein Fortschritt, der vieles
einfacher gemacht hat. Globalflyer hat zum Beispiel eine
Druckkabine. Deshalb kann diese Maschine so hoch in dünner Luft
fliegen. Das macht sie so schnell.
SZ: Spielt da oben eigentlich das Wetter noch eine Rolle?
Rutan: In der Stratosphäre, durch die Fossett fliegen
wird, gibt es kaum noch bedenkliche Wettereinflüsse. Wir
dagegen mussten damals mit Voyager durch jede verdammte
Schlechtwetterzone dieser Welt mittendurch. Der Schlüssel zu
unserem Erfolg war vor allem ein perfekter Wetterdienst. Den
wird Fossett zusätzlich haben: Er wird in Dauerkontakt zu
Wetter-Kontrolleuren am Boden stehen. Alles, was ihm passieren
kann, sind ein paar Turbulenzen aus dem Jet-Strom, der in
extremen Höhen bläst.
SZ: Wie reagieren Maschinen wie Globalflyer und Voyager
eigentlich auf Turbulenzen? Sind sie schwerer zu steuern als
normale Flugzeuge?
Rutan: Voyager vielleicht, der moderne Globalflyer nicht.
Mein Flugzeug war sehr dünn und leicht und dadurch wirklich
gefährdet. Zwar haben beide Maschinen eine hohe
Tragflächenbelastung, also wenig Auftrieb im Verhältnis zu
ihrem Gewicht, und sind damit relativ unempfindlich für
Turbulenzen. Aber wir sind damals mit Voyager durchaus in
Situationen geraten, die großes fliegerisches Können erfordert
haben.
Steve
Fossett aboard
the 125' catamaran Cheyenne
SZ: Welchen Moment werden Sie nie vergessen?
Rutan: Eine ganze Reihe von Momenten, die den Flug leicht
hätten beenden können. Gewitterstürme über Zentralafrika
etwa. Und über dem Atlantik sind wir in ein Gewitter geraten,
das uns fast auf den Kopf gedreht hätte. Wir standen schon
vertikal in der Luft: Der eine Flügel war in einen Fallwind,
der andere in einen gewaltigen Aufwind geraten.
Glücklicherweise war es ein kleines Gewitter, das uns nach
wenigen Sekunden wieder ausgespuckt hat in die klare Luft. Aber
dann hat, acht Stunden vor der Landung, plötzlich eine
Treibstoffpumpe versagt. Die Triebwerke fielen aus. Wir mussten
alles in der Luft reparieren. Das war die größte Schwierigkeit,
die wir hatten. Gott sei Dank war Voyager so gebaut, dass man
alles vom Cockpit aus reparieren konnte.
SZ: Sie waren zu zweit. Fossett wird allein im Zwei-Meter-Cockpit
sitzen...
Rutan: Ich hoffe, er wird trotzdem Reparaturen vornehmen
können, wenn nötig. Er hat immerhin zwei Autopilot-Systeme –
falls eines mal ausfällt.
SZ: Zu welchem technischen Ziel soll die Rekordjagd mit
solchen Flugzeugen eigentlich führen? Zum Bau besonders
sparsamer Flugzeuge?
Rutan: Unter anderem. Globalflyer ist ja schon
unglaublich effizient. Und in zwanzig Jahren werden Flugzeuge
noch effizienter sein. Das Wichtigste im Moment aber ist die
hohe Sicherheit der Maschine. Man muss kein so exzellenter
Testpilot wie im Fall unserer Voyager mehr sein, um einen
modernen Globalflyer zu fliegen. Das heißt: Man kann jetzt in
Wettbewerb treten mit allen möglichen Konstrukteuren und
Piloten. Deshalb wünsche ich mir sehr, dass Fossett Erfolg hat.
Gelingt ihm der Flug, dann gründe ich eine Organisation: die
Transglobal Air Race Association. Wir werden ein Netzwerk bilden
für Flugzeugbauer und Sponsoren und werden Teams gegeneinander
antreten lassen. In einem solchen Wettbewerb wird die
Entwicklung sicherer, effizienterer, stärkerer Maschinen rasend
schnell vonstatten gehen im Vergleich zu den langen Jahren nach
meinem Flug mit der Voyager.
SZ: Dann muss nur noch der Mensch als Pilot den
Fortschritt mitvollziehen und seine körperliche Verfassung
optimieren. Sie zum Beispiel sollen Halluzinationen beim
Voyager-Flug gehabt haben. Stimmt das?
Rutan: Oh ja, die gab es. Neun Tage ist eine lange Zeit,
und die Müdigkeit ist irgendwann überwältigend. Außerdem
hatten wir manchmal Sauerstoff-Probleme – etwa, als wir über
Afrika in 7620 Meter Höhe steigen mussten, um Unwettern
auszuweichen. Und über dem Pazifik bin ich so müde geworden,
dass ich zwar mit offenen Augen dasaß, aber keine Ahnung mehr
hatte, was zu tun war. Da hat meine Copilotin Jeane Yeager mich
aus dem Sitz geholt und auf den Boden gelegt. Es gibt allerdings
noch schlimmere Erfahrungen: Bei einem langen Testflug 1979, als
ich ganz allein über dem Atlantik herumflog, habe ich Töne
gehört wie gewaltige Orgelmusik, und ich habe tatsächlich
kleine Wesen gesehen. Mit denen habe ich mich sogar unterhalten.
Es war grauenvoll. Sie wollten mir erzählen, dass ich schon tot
sei. Ich solle mich entspannen, loslassen und mitgehen. Aber ich
habe mich gewehrt auf Teufel komm raus. Aus ähnlichen
Erfahrungen muss die griechische Mythologie entstanden sein. Ich
weiß heute viel darüber, was mit dem menschlichen Gehirn
passiert, wenn es den Betrieb einstellen will.
SZ: Sind diese Vorstellungen schlimmer als Probleme mit
einer Maschine?
Rutan: Natürlich. Technische Probleme kann man mit
Verstand lösen und hat das trainiert. Aber wie soll man mit
sich selbst umgehen?
SZ: Und? Wie muss man? Was sollte Fossett tun, außer
viel Wasser zu trinken? Etwas Bestimmtes essen?
Rutan: Keine Ahnung, was Fossett isst. Aber das mit dem
Wasser ist tatsächlich verdammt wichtig. Gerade in großer
Höhe. Er darf auf keinen Fall dehydrieren. Das ist genauso
wichtig wie die Kraftstoff-Zufuhr für die Maschine. Beide
Versorgungswege sind die kritischen Glieder in der Kette eines
solchen Unterfangens. Fällt eines aus, ist der Flug vorbei.
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